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Lissabons Altstadt: Über den Alltag und das Leben in der Alfama. Oder: Egal, wie fremd man ist

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Traurige, schöne, rauchende und pinkfarbene Beobachtungen über das Leben und den Alltag in Lissabons Altstadt Alfama während meines einmonatigen Portugal-Urlaubs:

Nur selten sieht man ihr Gesicht. Sie versteckt es meist unter ihrer großen, schwarzen Kapuze. Was man aber sehen kann, sind ihre Hände und Füße, die aus zerschlissenen Lumpen ragen. Sie wurden schon lange nicht mehr gewaschen. Die Lumpen. Und die Hände und Füße. Kennt ihr noch die Taubenfrau vom Central Park aus „Kevin allein in New York“? Es gibt Parallelen. Allerdings hat diese Frau kein Futter für die Tauben, die um sie herum gurren. Sie hat ja nicht mal welches für sich selbst. Nur eines ist immer bei ihr: Heißer, schwarzer Kaffee in einem Pappbecher.

So sitzt die Frau dort. Jeden Tag. Auf dem Boden unter den Arkadengängen am Militärmuseum. Das ist ihr Alltag. So wie es mein Alltag ist, auf dem Weg zum Supermarkt, der sich im hellblauen Bahnhofsgebäude Santa Apolónia versteckt, an ihr vorbei zu laufen. Jeden Tag. Interessant, wie schnell man sich in einer anderen Stadt feste Abläufe aneignet. Egal, wie fremd man ist. Egal, wie viele (oder wenige) Menschen man kennt. Man geht seinen Weg. Ich gehe meinen, um mir an der Kuchentheke Gebäck zum Kaffee zu besorgen. Jeden Tag. Danach geht’s wieder zurück in meine kleine Wohnung in der Alfama. Mitten im engen Gassengewirr von Lissabons Altstadt liegt sie im dritten Stock eines windschiefen Hauses, dessen Treppenhaus so eng ist, dass Tine Wittler beim Aufstieg ernsthafte Probleme hätte, sollte sie jemals auf die Idee kommen, diese Wohnung zu renovieren.

Jeden Abend um 19 Uhr, sagte mir meine Vermieterin, müsse ich meine volle Mülltüte vor die Haustür stellen. Die Müllabfuhr – in der Alfama aus einem Mann mit Sackkarre bestehend, da es ein Gefährt mit Müllpresse hier ähnlich schwer hätte wie Tine Wittler im Treppenhaus – würde sie dann einsammeln. Und so gehe ich die 39 Stufen noch einmal nach unten. Jeden Abend. Mit einem schwarzen Müllsack in der einen und der letzten Zigarette des Tages in der anderen Hand. Ich rauche am Fuße meiner schmalen Gasse. Oben am anderen Ende sitzt ein Mann an seinem Fenster und raucht auch. Den ganzen Tag. Weiter hinten schießen kleine Kinder mit einem Ball gegen die schiefen Wände. Und gegenüber hängt eine füllige Mamãe pinkfarbene Bettwäsche an das Geländer ihres französischen Balkons. Dabei hört sie Eminem. Jeden Abend.

Nur ein Mensch ist um diese Zeit spurlos verschwunden. Ich weiß nicht, wohin sie abends geht. Ich weiß nicht, wo sie schläft. Doch der Alltag eröffnet einem manchmal Dinge, die man ohne ihn nicht herausfinden würde. Egal, wie fremd man ist. Egal, wie viele (oder wenige) Menschen man kennt. Am nächsten Tag gehe ich wieder an der Taubenfrau vorbei und erfahre, warum sie immer einen vollen Pappbecher in der Hand hält. Es sind die Beamten, die gleich neben den Arkadengängen des Militärmuseums in ihrer Polizeistation sitzen. Sie füllen ihn mit heißem, schwarzen Kaffee auf. Jeden Tag. Immer wieder. Ist das nicht schön?


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